Brigit Gebhardt: Wissen Sie wirklich, was morgen kommt? Weniger Bauchgefühl, dafür mehr Daten und Analysen.
In der Berufswelt nimmt die Zukunftsforschung eine exponierte Rolle ein. Als intellektuelle Schwester der Trend- und Marktforschung werden hier die großen Linien gezogen, die über Prognosen für die Rocklängen des nächsten Sommers hinausgehen.
Hier werden – methodisch untermauert – die großen Linien postuliert, wie wir in den nächsten Jahren lernen, arbeiten und leben werden. Zukunftsforschung ist immer auch Gegenwartsforschung, sie beruht auf Daten und Analysen des Jetzt. Hier werden stattliche Budgets investiert, denn Unternehmen leiten daraus ihre mittelfristigen Produktlinien ab, die Politik erhofft sich Entscheidungshilfen für die großen Programmlinien.
Die Trendforschung berät vor allem die Konsumgüterindustrie. Etwa Autohersteller, die Fragen stellen wie „Wollen Frauen in Führungspositionen ihr Fahrzeug anders erwerben, als Männer das bislang getan haben?“. Der Physiker und Soziologe Rolf Dieter Kreibich hat die Zukunftsforschung 2006 dagegen formal definiert als „die wissenschaftliche Befassung mit möglichen, wünschbaren und wahrscheinlichen Zukunftsentwicklungen und Gestaltungsoptionen sowie deren Voraussetzungen in Vergangenheit und Gegenwart“.
Seit auch in Deutschland ein universitärer Lehrstuhl an der Freien Universität Berlin existiert, hat diese Fusionswissenschaft einen Schub an Seriosität erfahren. Was in den USA, im skandinavischen Raum oder auch in den Niederlanden schon länger ernsthaft zum Einsatz kommt, kann als weiterführendes Masterstudium hier interdisziplinär belegt werden. Viele Quereinsteiger ergänzen ihre Erfahrungen aus der Praxis.
Es ist eine zahlenmäßig überschaubare Zunft, die weder durch berufsständische Kammern geschützt noch vor eitler Scharlatanerie gefeit ist. Ihre Expertise wird zunehmend auch von den großen Unternehmensberatungen mit angeboten. Es ist ein Markt des Wissens.
Der Qualitätsgrad der jeweiligen Untersuchung hängt wesentlich davon ab, dass Bauchgefühl, Herumraten oder Spekulation keine Rolle spielen. Eine seriöse Antwort etwa auf die Frage „Welche Popmusik hören die Menschen in drei Jahren?“ verbietet sich aus der Kenntnis des Sujets, das weltweit die ungewöhnlichsten Songs und Subtrends raushaut. Die Profis wissen: Nicht alles lässt sich (generell) beantworten.
Birgit Gebhardt: „Unsere Arbeit wird spielerischer, das Lernen erfahrungsreicher.“
Vom Studium her ist Birgit Gebhardt Innenarchitektin, dann war sie beim Fachmagazin „Design Report“. Es folgten zwölf Jahre beim Hamburger Trendbüro. Aus einer Forschungsarbeit entstand 2012 die Studie „New Work Order“, die sie als Selbständige zur Fragestellung „Wie arbeiten wir in Zukunft?“ führte.
Der Begriff „New Work“ hat sich seitdem zu einem Megatrend entwickelt. Dieser übersetzt die Digitalisierung nicht nur technologisch, sondern auch ökonomisch, gesellschaftlich und sogar kulturell. Diese Ableitungen findet Birgit Gebhardt spannend, weil wir erst in der gesellschaftlichen Übersetzung den Nutzen von technologischen Neuerungen verstehen.
„New Work“ begegnet der Angst vor Automatisierung und Artificial Intelligence konstruktiv, sieht in beidem sogar die Chance für eine menschenzentrierte Arbeitswelt. Digitalisierung stellt uns nicht nur vor komplexe Herausforderungen, sondern stellt auch die Werkzeuge und Medien, um mit der gestiegenen Komplexität umgehen zu können.
Aktuell schaut sich Birgit Gebhardt im Gaming-Segment um, trifft auf Messen Spielentwickler, interviewe Pioniere, UX-Designer und Medienkünstler. Denn bevor das Metaverse sich zu besuchen lohnt, wird die Überlagerung digitaler Informationen mit der Kohlenstoffwelt viel spannendere Erlebnisse bieten: Erfahrungen aus beiden Welten, die man als ‚Blended Learning‘ bezeichnen kann. Das Spiel gilt als die Kulturtechnik, die mit Wandel am besten umgehen kann. Also wird die Arbeit spielerischer und das Lernen erfahrungsreicher.
Über die methodische Anwendung wird das Werte-Set von New Work gleich mit überprüft: Freiheit, „Selbstverantwortung“, Sinn, individuelle Entwicklung und soziale Verantwortung. Übersetzt sind das die Prinzipien, die sich der Sozialphilosoph Frithjof Bergmann mit seiner New-Work-Bewegung auf die Fahnen geschrieben hatte. Zwar haben wir für sein ideelles Ziel – die Ablösung des Turbokapitalismus samt abhängiger Lohnarbeit – noch nicht den tragfähigen Ersatz gefunden. Doch konnten wir mit dem Werteverständnis in Organisationen, Unternehmen, Teams und bei uns selbst beginnen.
New Work impliziert für Birgit Gebhardt den Aufbruch in eine neue Arbeitskultur. Mit neuen Geschäftsmodellen dank vernetzter Wertschöpfung. Mit gesellschaftlicher Partizipation und wechselnden Rollen. Mit ad-hoc-Informationen in erweiterten Realitäten. Und mit Bürowelten, die sich in multisensorische Lernlandschaften verwandeln.
Das Büro, wie wir es kennen, hat seinen technologischen Vorsprung verloren. Die Arbeitsmittel wandern zu den Menschen: auf die Brille, zu den Händen, in die Hosentasche. Die Smart Watch wird die individuelle Leistungsfähigkeit messen, berufliche wie private Agenda abstimmen und die passende Umgebung für die beabsichtigte Tätigkeit vorschlagen. Ob das Büro dabei noch eine Rolle spielt, entscheidet sich an der ‚User-Experience‘, die es anbieten kann.
Birgit Gebhardt wollte von Beginn an die Dinge in Zeit und Kontext betrachten. In den letzten zehn Jahren hat die Kernfrage dabei weiter an Reiz gewonnen: „Wie kommt das Neue in die Welt?“
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